Allein im Jahr 2017 wurden in Deutschland mehr als 420.000 Anträge auf eine „Frührente“ gestellt, weil Menschen zu krank zum Arbeiten waren. Diese Zahl entspricht in etwa der Einwohnerzahl der Städte Chemnitz und Osnabrück zusammen. Aber nur gut der Hälfte der Anträge, nämlich etwa 228.000, wurde auch stattgegeben. Von der Deutschen Rentenversicherung gab es durchschnittlich 716 Euro Rente im Monat. Erstmals präsentieren wir hier die Zahlen der unterschiedlichen Absicherungssysteme für 2017 in einer Übersicht.
Die meisten Menschen können mit Fachbegriffen wie erwerbsgemindert oder berufsunfähig nicht gerade viel anfangen. Manche schreiben sogar, sie kennen niemanden, dessen Berufsunfähigkeit anerkannt wurde. Hingegen kennen fast alle jemanden, der Frührentner ist und ahnen: Das ist jemand, der vorzeitig in Rente gehen musste, weil er oder sie zu krank zum Arbeiten ist. Aus diesem Grund übernehme ich hier den Ausdruck „Frührentner“ als Oberbegriff und erläutere, was sich dahinter verbirgt und wie viele Menschen betroffen sind. Allen Zahlen ist gemein, dass sie sich auf das Jahr 2017 beziehen. Das ist das letzte Jahr, für das wir die Zahlen der wichtigsten Absicherungssysteme recherchieren konnten.
Zu krank zum Arbeiten:
Info-Grafik » Pressemitteilung »
Chance von 50 Prozent auf durchschnittlich 716 Euro: Die Deutsche Rentenversicherung
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – so umschreibt man in erster Linie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Beiträge unter anderem an die Deutsche Rentenversicherung gezahlt werden müssen. Das ist der größte Teil der Erwerbstätigen in Deutschland. Auch Selbstständige können freiwillig Beiträge dort einzahlen, manche, wie Handwerksmeister, müssen es sogar. Wer von diesen Personengruppen dauerhaft zu krank zum Arbeiten wird, kann als „Frührentner“ bei der Deutschen Rentenversicherung eine Erwerbsminderungsrente beantragen.
- Allein im Jahr 2017 stellten 350.547 Menschen einen solchen Antrag.
- 177.059 Anträge wurden bewilligt.
- Das ist eine Quote von 50,5%. Also hatte rund die Hälfte der Anträge Erfolg.
- Das Durchschnittsalter dieser Erwerbsminderungsrentner*innen betrug 51,9 Jahre.
- Wessen Antrag bewilligt wurde, bekam im Durchschnitt eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 716 EUR im Monat ausgezahlt. Der Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner war davon bereits abgezogen, Steuern nicht.
Unsere Quelle: Deutsche Rentenversicherung, Erwerbsminderungsrenten im Zeitablauf 2019 (Download, PDF, 128 KB).
Lebensversicherer erkennen zwei Drittel der Fälle an
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Selbstständige und Freiberufler, Studierende, Hausfrauen und Hausmänner, Schülerinnen und Schüler: Sie alle können sich (theoretisch) bei einem Lebensversicherer für den Fall absichern, dass sie zu krank zum Arbeiten werden. Die häufigste Art der Absicherung dort ist die Berufsunfähigkeitsversicherung. Wer voraussichtlich dauerhaft krank bleibt, kann einen Leistungsantrag stellen. Je nach Ausgestaltung des Vertrags zahlt der Lebensversicherer dann eine Berufsunfähigkeitsrente und / oder übernimmt die weitere Beitragszahlung für Sparverträge oder eine (Risiko-) Lebensversicherung.
- Allein im Jahr 2017 stellten 61.549 Menschen einen solchen Leistungsantrag.
- In 41.041 Fällen haben Lebensversicherer Berufsunfähigkeit anerkannt.
- Das ist eine Quote von 66,7%. Also hatten zwei von drei Anträgen Erfolg.
- Die Rente wegen anerkannter Berufsunfähigkeit lag im Durchschnitt bei 726 EUR im Monat.
Zur Beachtung:
Wie viele Versicherte 2 Berufsunfähigkeitsversicherungen hatten und zwei Renten erhielten, ist nicht bekannt. Solche Fälle sind jedenfalls nicht selten. Deswegen sollte man von der Durchschnittsrente nicht direkt auf die Gesamtabsicherung im BU-Fall schließen.
Die ausgewiesenen Zahlen berücksichtigen nur die Angaben von Versicherern, die 82,8% Marktanteil repräsentieren, gemessen an der Anzahl Verträge im Bestand. Einige Unternehmen haben nicht alle Angaben geliefert. Von den Anträgen, die ohne eine Leistung blieben, beruhen 9.755 Fälle darauf, dass Versicherte keinen schriftlichen Leistungsantrag stellten bzw. ihren Antrag nicht weiter verfolgten. Je nachdem, ob man diese Fälle als Ablehnung oder vielleicht analog zur Deutschen Rentenversicherung als „anderweitige Erledigung“ deklariert, kann sich eine andere Quote ergeben.
Wir gehen davon aus, dass die Gesamtanzahl der Leistungsanträge deutlich höher ist, weil nicht alle Versicherer berücksichtigt sind. Ob sich dadurch die Quote ändern würde, bleibt offen. Welche Versicherer keine Daten geliefert haben, ist (uns) nicht bekannt.
Unsere Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV e.V., Kennzahlen zum Annahme- und Leistungsverhalten für das Berichtsjahr 2017.
Frühpensionen bei Beamtinnen und Beamten
Wer auf Lebenszeit verbeamtet ist, braucht nicht in die gesetzliche Deutsche Rentenversicherung einzuzahlen. Beamten, die zu krank zum Arbeiten werden, zahlt der Dienstherr eine (um im Bild zu bleiben) Frühpension wegen Dienstunfähigkeit.
- Im Jahr 2017 allein gab es 10.030 solcher Versorgungszugänge wegen Dienstunfähigkeit.
Weitere Zahlen dazu sind uns nicht bekannt.
Unsere Quelle: Statistisches Bundesamt Destatis, Fachserie 14 Reihe 6.1 2018 Versorgungsempfänger des öffentlichen Dienstes (Download, PDF, 2 MB)
Freiberufler*innen in Versorgungswerken
Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Architektinnen und Architekten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – sie alle arbeiten in typischen freien Berufen. Statt in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, haben sie eigene Versorgungswerke. Dort sind sie auch gegen (vollständige) Berufsunfähigkeit abgesichert.
Es war uns nicht möglich, auch nur eine einzige Zahl zu ermitteln, wie viele Freiberufler zu krank zum Arbeiten wurden. Auch nicht, wie viele Berufsunfähigkeitsrenten die vielen unterschiedlichen Versorgungswerke auszahlen. Wenn Sie helfen können, lassen Sie uns gerne Zahlen zukommen!
Infografik
Zu krank zum Arbeiten: Rentenanträge in Deutschland im Jahr 2017
Fazit
Es ist erschütternd, wie viele Menschen in Deutschland allein in einem einzigen Jahr langfristig zu krank zum Arbeiten werden. Nicht weniger tragisch ist, mit wie wenig Rente gesetzlich Versicherte dann auskommen müssen – falls sie überhaupt etwas bekommen.
Daran wird auch die seit 2018 stufenweise Verlängerung der Zurechnungszeiten mit dem Ziel der Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten nicht viel ändern. Zur Veranschaulichung: Der durchschnittliche Nettolohn eines Arbeitsnehmers lag im Jahr 2017 laut Statista bei 1.949 EUR. Einen Absturz auf durchschnittliche 716 EUR Erwerbsminderungsrente werden nicht viele verkraften können.
So mag sich auch die seit Jahren wachsende Zahl von Erwerbsminderungsrentnern erklären, die trotz voller Erwerbsminderungsrente zusätzlich Grundsicherung beantragen müssen. Laut des Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (PDF, Download, 89 KB) waren das 514.737 Menschen im Jahr 2017.
Zu krank zum Arbeiten – Mehr Forschung nötig
Eigentlich müsste in diesem Bereich viel mehr geforscht werden. Zum Beispiel, warum die Deutsche Rentenversicherung so viele Anträge ablehnt? Oder warum so viele Menschen bei den privaten Versicherern ihren Leistungsantrag nicht weiter verfolgen? Und das, obwohl sie doch aus freien Stücken viel Geld für ihre Absicherung ausgeben. Unbekannt ist auch, wie viele Menschen sowohl aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (oder mehreren) eine Rente beziehen. Wie viele Menschen müssen allein mit ihrer privaten Berufsunfähigkeitsrente auskommen? Schließlich sind das alles wichtige Zahlen, um sich richtig vorbereiten zu können. Und zwar sowohl für Verbraucher, wie für diejenigen, die sie beraten sollen.
So viel steht für mich jedenfalls fest: Ohne konkrete Zahlen wissen die Menschen nicht, was im Ernstfall auf sie zukommt. Wer nicht privat vorsorgt, falls er zu krank zum Arbeiten wird, fällt im Fall des Falles wie bei der staatlichen Altersrente in ein finanzielles Loch.
Medienecho auf Zu krank zum Arbeiten
Pfefferminzia vom 23.06.2020:
ÄrzteZeitung vom 23.06.2020:
versicherungstip vom 23.06.2020. Bitte auf das Bild klicken, um den Artikel online zu lesen.
Viertens Versicherungsjournal vom 24.06.2020:
Noch keine Kommentare vorhanden