Mit Wilfried E. Simon, Versicherungsdozent und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler (IGVM) e.V., nimmt ein erster führender Vertreter eines Maklerverbands Stellung zur „spontanen Anzeigepflicht“.
Neben zahlreichen Versicherern und Rechtsanwälten nimmt nun auch ein erster führender Vertreter eines Maklerverbands Stellung zu der von uns losgetretenen Diskussion um die „spontane Anzeigepflicht“. Wilfried E. Simon äußert sich zu dem nicht rechtskräftigen Urteil des Landgericht Heidelberg (Az.: 2 O 90/16) und über „unseren“ Leistungsfall, der Anlass für den Beitrag „Spontane Anzeigepflicht? Wehret den Anfängen!“ war.
Anmerkung nach Änderungen vom 15.12.17: Wir dokumentieren hier die vollständige Stellungnahme des IGVM-Vorsitzenden. Im versicherungstip (vt) aus dem kapital-markt intern Verlag, Ausgabe 50/17 ist bereits eine etwas gekürzte Version veröffentlicht worden. Herzlichen Dank für die Erlaubnis zur Veröffentlichung!
Rechtsexperte Wilfried E. Simon zur ‚spontanen Anzeigepflicht‘:
„Ich kenne den Fall von Matthias Helberg ziemlich gut. Er bestätigte mir auf meine Nachfrage, dass die Prämien des Normaltarifs und die Prämien der Aktionstarife identisch waren. Damit liegt m.E. ein klarer Verstoß gegen § 138 VAG (Prämienkalkulation) vor. Und ich wage ernsthaft zu bezweifeln, ob dies in den Berichten an die BaFinoffen gelegt wurde/wird (vgl. § 143 VAG). Das blieb bisher bei allen Diskussionen rund um dieses Thema völlig unberücksichtigt.
1. Halten Sie die Ablehnung des Versicherers in dem uns vorgelegten Fall (warum) für zutreffend oder (warum) für unzutreffend?
Sie ist m.E. unzutreffend. Ich bin mir sicher, dass das Urteil vom OLG Karlsruhe als Berufungsgericht auch in Kürze kassiert (mündliche Verhandlung am 30.1.2018) wird. Die Ablehnung mit Bezug auf das Urteil des LG Heidelberg ist irreführend; und damit rechtswidrig, wenn der VN nicht zugleich auch darauf hingewiesen wird, dass es sich bei der zitierten Entscheidung um ein noch nicht rechtskräftiges Urteil handelt. Außerdem liegen hier bei den beiden Erkrankungen (konkret Diabetes mellitus II und chronische Niereninsuffizienz) keine außergewöhnlichen Umstände vor, wie sie von der Rechtsprechung herangezogen werden, um eine spontane Anzeigepflicht des VN zu begründen. Im normalen Antrag mit umfassenden Gesundheitsfragen wird nach beiden Krankheiten stets gefragt. Bei einer korrekten vorvertraglichen Risikoprüfung wäre der VN danach also explizit gefragt worden und hätte sie entweder angegeben oder von einer Antragstellung abgesehen.
2. Muss ein Versicherer nach den Krankheiten, die er für annahmerelevant hält, auch konkret fragen?
Versicherer (VR) sind aufsichtsrechtlich verpflichtet, Risiken, die sie in Deckung nehmen wollen, zu prüfen und eine u.a. am Schadens- bzw. Leistungsbedarf orientierte angemessene Prämie zu kalkulieren (vgl. §§ 26 Abs. 5. Nr.1, 138 VAG). Dafür sind die Aktuare in den Unternehmen verantwortlich. Ein Berufsunfähigkeitsrisiko für Einzelpersonen mit vereinfachter Risikoprüfung in Deckung zu nehmen, verstößt nach meiner Überzeugung gegen die Vorschriften über ein funktionierendes Risikomanagement im VersUnternehmen und zumindest dann gegen die anerkannten Regeln einer vernünftigen Versicherungstechnik, wenn die Aktionsprämien mit denen bei umfassender Risikoprüfung identisch sind – wie in diesem Fall. Denn die Juristen und Mathematiker, die solche Aktionen “genehmigen”, wissen ganz genau, dass sie damit im Neugeschäft eine negative Risikoauslese bekommen und die wirkt sich im Laufe der Zeit zu Lasten der Versichertengemeinschaft und auf die Solvabilität des VR aus.
Sich – dieses wohl wissend – im Leistungsfall auf arglistige Täuschung durch den VN zurückziehen zu wollen, obwohl nach beiden vorhandenen Erkrankungen im Antrag mit normaler umfassender Risikoprüfung sicher auch gefragt worden wäre, ist m.E. deshalb auch ein Missbrauchsfall für die BaFin.
3. Gibt es nach Ihrer Auffassung trotz § 19 VVG eine spontane Anzeigepflicht?
Gerichte neigen jedenfalls dazu, dies in Ausnahmefällen zu bejahen. Dabei wird m.E. aber in der bisherigen RSpr. übersehen, dass der Gesetzgeber die bis zum 31.12.2007 geltende Regelung des § 16 VVG a.F. bewusst beenden wollte. Man könne es dem VN nicht zumuten, zu wissen oder zu erahnen, was für den VR gefahrerhebliche Umstände darstellen, die Einfluss auf seine Annahmeentscheidung haben könnten. Zudem sind die Annahmegrundsätze von VR zu VR teils unterschiedlich. Deshalb wurde in § 19 Abs. 1 VVG vorgeschrieben, dass der VN nur dass anzugeben braucht, wonach der VR mindestens in Textform gefragt hat. Zieht man jedoch die Begründung der BuReg hinzu, so wird man ungläubig feststellen, dass die Autoren darin wieder von ihren gut gefassten Vorsätzen abrücken und sinngemäß schreiben, dass das, was in der Norm steht, nun doch nicht gelten solle. Dies liegt aber an dem Textvorschlag der VVG-Kommission, der aber nicht konkret begründet wurde. Dem sind die Autoren des GesE gefolgt.
Das nehmen die VR bei ihren Aktionen als Steilvorlage, Neugeschäft einzuwerben und dann im Leistungsfall die Arglistkarte zu ziehen. Dadurch wird der Vertrag von Anfang nichtig (es tunc), und der VR darf auch noch die gezahlten Prämien behalten. Ein äußerst lukratives Geschäft für VR, denn der Prämienleistung der VN steht bei einem solchen Verhalten keine Leistung der VR gegenüber, zumindest bei Leistungsanträgen innerhalb der ersten 10 Jahre ab Vertragsbeginn nicht.
Die Normen des VVG sind Spezialgesetz (lex specialis) und gehen den allgemeinen gesetzlichen Regelungen – hier § 242 BGB – vor (so genanntes Generalgesetz). Für den sich an seinen gesetzlichen Pflichten orientierenden VN und den VersM, präsentiert sich § 19 (1) VVG als abschließende Regelung. Darüber muss der VR den VN vor Abgabe seiner Willenserklärung auf Vertragsschluss auch vorschriftsmäßig belehren (§ 19 Abs. 5 VVG). Darin steht aber kein Hinweis des VR, dass dem VN auch eine darüber hinaus gehende Pflicht zur spontanen Anzeige im Sinne der Grundsätze von Treu und Glaube obliegt. Wenn der Gesetzgeber dies so gewollt hätte, dann hätte er die Hinweis- und Belehrungspflicht des VR gegenüber dem VN um diesen Bereich erweitern müssen.
4. Worauf sollten VN und Versicherungsmakler achten? Sollten VN/Makler auf den Wortlaut VVG § 19 (1) vertrauen und schlimmstenfalls eine Anfechtung riskieren, oder sollten sie dem Versicherer Umstände mitteilen, die sich für den Kunden nachteilig auswirken können ohne dass dafür womöglich ein rechtliches Erfordernis vorliegt?
VersM schulden Ihren Mandanten im Rahmen der ihnen obliegenden Abschlusspflicht die Vermittlung von nachhaltigem Versicherungsschutz. Wenn nun aber immer öfter Fälle auftreten, wo sich VR auf die Verletzung der spontanen Anzeigepflicht berufen und den Vertrag im Leistungsfall anfechten, dann kann daraus schnell ein Haftungsfall für den VersM werden, wenn er seinen Mandanten nicht vor Abschluss darauf hingewiesen und dies auch dokumentiert hat. Denn es handelt sich bei den vorliegenden Fällen um rechtliche Grundlagen, die der Sphäre des VersM zuzurechnen sind und über die er seinen Mandanten bei der Beratung vor Vertragsschluss ungefragt zu informieren hat. Versicherungsmakler (VersM) sollten solchen Aktionen mit vereinfachter Gesundheitsprüfung daher mit großer Skepsis begegnen und die Mandanten auf diese Pflichten bei außergewöhnlichen Erkrankungen hinweisen. Dass solange, bis durch eine höchstrichterliche Entscheidung nach neuem VVG eine gewisse Rechtssicherheit bringt.“
Der versicherungstip zieht als Zwischenfazit:
Alle bisher in ‚vt’ veröffentlichten Rechtsauffassungen erkennen keine spontane Anzeigepflicht bei ‚geläufigen’ Erkrankungen, auch wenn diese schwerwiegend sein können.
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