Am heutigen 01.März 2011 hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs beschlossen:
„Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ist mit Wirkung vom 21. Dezember 2012 ungültig.“
Unter dem Stichwort Unisex-Tarife geht das Urteil schnell durch die Presse – aber was versteckt sich dahinter? Es hat weder mit Universität noch mit Sex zu tun – der Gerichtshof hat entschieden, dass ab Dezember 2012 auch Versicherer bei der Kalkulation von Versicherungsprämien das Geschlecht nicht mehr mit unterschiedlichen Versicherungsprämien berücksichtigen dürfen.
Wenn Sie ein Haus ganz aus Holz haben, werden Sie mehr Versicherungsprämie dafür bezahlen müssen, als wäre es massiv aus Stein gebaut: Das Feuerrisiko ist eben größer.
Nach dem gleichen Prinzip werden bislang in vielen Versicherungssparten auch die Geschlechter unterschieden: Frauen haben eine durchschnittlich höhere Lebenserwartung, also muss das Geld für die Rente länger reichen als für Männer und daher bekommen sie für den gleichen Betrag eine geringere monatliche Rente.
Dafür werden Frauen häufig in der Autoversicherung bevorzugt und zahlen geringere Kfz-Prämien, weil sie weniger hohe Schäden verursachen. In nahezu allen Unfallversicherungen bekommen Frauen stets die beste und günstigste Berufsgruppe A, selbst wenn sie körperlich tätig sind. Körperlich tätige Männer hingegen werden meist in Berufsgruppe B eingestuft, die deutlich teurer ist. Frauen im gebärfähigen Alter führen durch Schwangerschaft und Entbindung zu höheren Kosten im Gesundheitswesen und zahlen in dieser Lebensphase mehr für die Private Krankenversicherung oder Krankenzusatzversicherung, als gleichalte Männer.
Das alles wird nun ab Dezember 2012 (für neue Versicherungsverträge) vorbei sein, die Unisex-Tarife kommen. Was aber glauben Sie: Werden nun Versicherungsprämien für die einen günstiger, oder eher teurer für die anderen?
Wir machen uns als Gesellschaft viel Gedanken um Gerechtigkeit – und das ist gut so. Noch immer tragen Frauen einen höheren Anteil an gesellschaftlichen Aufgaben (Schwangerschaft, Erziehung, Pflege) und sind im Erwerbsleben Männern längst nicht gleichgestellt. Noch immer sind es die Frauen, die eher die Doppelbelastung von Familie und Beruf schultern müssen.
Die Frage, die sich heute aber stellt, lautet: Ist es richtig, dass ein unterschiedliches Risiko zwischen Männern und Frauen bei Versicherungen nicht als solches durch unterschiedlich hohe Versicherungsprämien berücksichtigt werden darf? Diskutieren wir diese Frage unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten, müssen wir dann nicht auch diskutieren, warum Kinder billiger in der Unfallversicherung sind, als Erwachsene (oder nicht beitragsfrei sind), warum Akademiker für die Berufsunfähigkeitsversicherung weniger bezahlen müssen, als Gärtner? Warum Fahranfänger viel mehr für die Autoversicherung bezahlen müssen, als langjährige Fahrer, warum Hausratversicherungen in Berlin teurer sind als in Hagen a.T.W.?
Ich freue mich auf Ihre Meinung!
Nachtrag 30.12.2011: Wenig neues gibt es seit März zu berichten. Versicherer kalkulieren und die Süddeutsche schreibt über Unisex-Tarife für Versicherungen.
Nachtrag 02.08.2012: Wie wirkt sich das Unisex Urteil aus? Mit Beitragssteigerungen für Neuverträge um bis zu 28%.
Kommentare zu diesem Beitrag
Wie so oft aber hat sich der EuGH wieder gescheut, mit letzter Konsequenz durchzugreifen, weshalb wir energisch fordern:
Diskriminierung im Versicherungswesen konsequent bekämpfen!