Seit 23.02.2018 ist ein neues Gesetz in Kraft. Jetzt wird alles viel kunden- und verbraucherfreundlicher im Versicherungsvertrieb. Oder?
Schon über ein Jahr ist es her, dass ich im Artikel „Verbraucher im Konflikt, Paradies für Dilettanten, Makler in Knechtschaft“ auf ein neues Gesetzesvorhaben für den Versicherungsvertrieb aufmerksam gemacht habe. Nun ist es am 23.02.2018 in Kraft getreten, das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze“. Was wird diese deutsche Umsetzung der „IDD“ Verbrauchern bringen? In loser Folge gehe ich hier auf einzelne neue Regelungen ein. Wir starten mit:
Versicherer, Versicherungsvertreter, -makler und -berater müssen im bestmöglichen Kundeninteresse handeln
Das neue Gesetz hat unter anderem das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geändert. Das hat einen neuen § 1a bekommen. In dem heißt es nun:
„Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln.“
Zur Vertriebstätigkeit zählt der Gesetzgeber nun das Beraten, das Erstellen von Vorschlägen, den Abschluss aber auch die Verwaltung von Versicherungsverträgen und das Mitwirken im Schadensfall.
Selbst die „Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge auf Grund von Kriterien, die ein Versicherungsnehmer über eine Website oder andere Medien wählt“, gilt nun bereits als Vertriebstätigkeit. Das Gleiche gilt für Preis- und Leistungsvergleiche im Internet, wenn „der Versicherungsnehmer einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann“.
Auch Werbemitteilungen müssen redlich und eindeutig sein und dürfen nicht irreführend sein. Werbemitteilungen müssen stets eindeutig als solche erkennbar sein.
Dass diese Pflichten nicht nur den Versicherern obliegen, sondern auch Versicherungsvertretern, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern, geht im VVG aus § 59 Abs. 1 bzw. 4 hervor.
Alter Hut oder wirklich Neues im Versicherungsvertrieb?
Dass man im Geschäftsleben (wie ja wohl auch im Privatleben) stets ehrlich und redlich sein sollte, ist nichts Neues. Dass Versicherungsmakler und Versicherungsberater auf Seite der Versicherten stehen und daher in ihrem Interesse zu handeln haben, ist ebenfalls nicht neu. Soweit jedenfalls die Theorie.
Nun gelten die Regeln aber für alle und sie stehen im Gesetz. Und es steht da etwas von professionell und vom „bestmöglichen Interesse“ – des Versicherungsnehmers. Was soll das nun bedeuten?
Der Gesetzgeber selber findet anscheinend, dass das gar nichts Neues ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung:
„Mit dieser Regelung ist allenfalls eine geringfügige Änderung des deutschen Rechts verbunden. Bereits nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die das deutsche Zivilrecht beherrschen, muss in vertraglichen Beziehungen weitgehend entsprechend gehandelt werden (…)“
Etwas weiter in der Gesetzesbegründung findet man:
„Berücksichtigt man ferner, dass nach §§ 6 Absatz 1, 61 Absatz 1 Versicherungsvertragsgesetz bereits die Verpflichtung besteht, dass die Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfragen sind und ein darauf abgestimmter Rat zu erteilen ist, lässt sich sagen, dass auch jetzt schon ehrlich, redlich und professionell beraten werden muss.“
Das klingt irgendwie nachvollziehbar. Und doch meine ich, im bestmöglichen Kundeninteresse zu handeln, dürfte für den einen oder anderen in der Versicherungsbranche Neuland darstellen. Auch, dass jetzt bereits das Mitwirken im Schadensfall und Online-Vergleichsrechner zum Versicherungsvertrieb gezählt werden, ist neu. Das dürften immerhin zwei wichtige Gelegenheiten sein, bei denen für die Versicherten Probleme auftauchen bzw. entstehen können.
Was ist das bestmögliche Interesse – und wer bestimmt das eigentlich?
Ein Beispiel: Das bestmögliche Interesse eines Versicherungsnehmers ist es sicherlich nicht, mit wenigen Gesundheitsfragen zum Abschluss einer bestimmten Berufsunfähigkeitsversicherung bewogen zu werden, jahrelang Beiträge zu zahlen und dann im Leistungsfall mit zweifelhafter Begründung hinausgeworfen zu werden. Stichwort „arglistige Täuschung“. Wenn im Straßenverkehr eine Ampel rot zeigt und man trotzdem weitergeht oder weiterfährt, weiß jedes Kind, das das nicht richtig ist und es schlimme Folgen haben kann. Im bestmöglichen Interesse der Versicherungsnehmer müssten wir vergleichbare Eindeutigkeit auch beim Abschluss von Versicherungen haben. Die Diskussion um die „spontane Anzeigepflicht“ zeigt, dass wir weit davon entfernt sind.
Beispiel Nummer zwei: Sie lassen nach einem Steinschlag die Frontscheibe Ihres Wagens reparieren. Der KFZ-Versicherer kürzt die Rechnung, weil er der Auffassung ist, dass die Werkstatt einen zu hohen Stundenlohn berechnet hat. Sie müssen aber die Rechnung der Werkstatt bezahlen. Lässt sich die Kürzung mit Ihrem bestmöglichen Interesse vereinbaren?
Nehmen wir ein drittes Beispiel: Sie wollen sich für den Fall absichern, dass Ihre Gesundheit einmal nicht mehr mitmacht und Sie nicht mehr voll arbeiten können. Das geht also in Richtung einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Sinnvoll ist aus der Sicht vieler Experten eine Absicherung, die so lang wie möglich läuft. Denn man kann eine Berufsunfähigkeitsversicherung in der Regel nicht verlängern. Sie wollen sich aus Kostengründen aber nur bis zum Alter von 60 Jahren versichern. Sogar Stiftung Warentest hatte das ja einst im legendären Avanti dilettanti Berufsunfähigkeitsversicherung-Test angeregt. Was ist nun das bestmögliche Kundeninteresse, einfach Ihrem Wunsch nachzukommen? Verschiedene Expertenmeinungen darstellen? Eine BU bis Endalter 60 gar nicht zu vermitteln? Wer entscheidet später darüber, falls es zum Streit kommen sollte? Stiftung Warentest? Eine Verbraucherzentrale? Sie selber? Erst ein Richter?
Fazit
Das neue Versicherungsvertriebsrecht enthält schwammige Begriffe wie „im bestmöglichen Interesse“ der Versicherungsnehmer. Es gibt zwar eine grobe Richtung vor, dürfte jedoch noch jahrelang zu Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten führen. Das hängt auch damit zusammen, dass es in vielen Fragen unterschiedliche Auffassungen darüber geben wird, was im Einzelfall überhaupt das bestmögliche Interesse des Versicherungsnehmers ist. Wie sehen Sie das?
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