„Konkrete Verweisung“ bedeutet, dass Sie trotz Berufsunfähigkeit im bisherigen Beruf keine BU-Rente bekommen, weil Sie aus freien Stücken eine andere, vergleichbare Tätigkeit ausüben. Zum Beispiel nach einer Umschulung. Positiv für Versicherte ist es, wenn ein Versicherer auf die konkrete Verweisung verzichtet. Nur das bietet kaum ein Versicherer an.

Inhaltsverzeichnis
Im alten Beruf berufsunfähig, im neuen nicht
Welcher Beruf ist in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) versichert? Der zuletzt ausgeübte Beruf, „so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war“. So lautet inzwischen die gesetzliche Definition von Berufsunfähigkeit. Mehr dazu finden Sie im Artikel „Welcher Beruf ist in der Berufsunfähigkeitsversicherung versichert?“
Angenommen in Ihrem bisherigen Beruf sind Sie berufsunfähig. Was ist dann, wenn Sie aus Eigenantrieb einen anderen Beruf ergreifen, oder freiwillig eine Umschulung machen? Dürfen Sie hinzu verdienen? Muss der Versicherer die Berufsunfähigkeitsrente (weiter) zahlen?
Das hängt davon ab, ob beide Berufe vergleichbar sind – und was im Kleingedruckten Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung steht. Da Sie dann ja konkret eine ganz bestimmte Tätigkeit ausüben, kann der Versicherer Sie eventuell „konkret verweisen“.
Versicherungsklausel Konkrete Verweisung
In nahezu allen Versicherungsbedingungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung finden sich ähnliche Formulierungen wie:
Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn die versicherte Person (…) eine andere, ihrer Ausbildung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausübt.
Sie übt die Tätigkeit aus – steht da. Da steht nicht, dass die versicherte Person die Tätigkeit ausüben kann. Denn das wäre die abstrakte Verweisung.

Ausbildung, Erfahrung, Lebensstellung
Bei einer konkreten Verweisung geht es aber nicht einfach um irgendeine andere Tätigkeit, die man tatsächlich ausübt. Vielmehr geht es nur um solche Tätigkeiten, die der Ausbildung und Erfahrung sowie der bisherigen Lebensstellung entsprechen. Mit bisheriger Lebensstellung ist gemeint: Die soziale Wertschätzung und das Einkommen.
Dazu zwei Beispiele:
Erstes Beispiel: Ein Kinderarzt mit eigener Praxis bekommt Arthrose in den Schultergelenken. Kinder kann er nicht mehr behandeln, eine Praxisvertretung rechnet sich nicht. Er erfüllt sich aber einen Jugendtraum und wird erfolgreicher Kinderbuchautor. Der Versicherer kann ihn nicht konkret verweisen, denn die Lebensstellung ist nicht vergleichbar. Um Kinderbuchautor zu sein, muss man nicht Medizin studiert haben und Kinderarzt gewesen sein.
Zweites Beispiel: Der gleiche Kinderarzt schließt zwar seine Praxis, aber schreibt nun in einem Kinderkrankenhaus medizinische Gutachten über die kleinen Patienten. Um diese Gutachten schreiben zu können, braucht man ein Medizinstudium. Die Erfahrung aus der eigenen Kinderarztpraxis ist mehr als hilfreich. Ob der Versicherer den Kinderarzt konkret auf seine neue Tätigkeit verweisen kann, hängt nun noch von der Lebensstellung ab. Ist die soziale Wertschätzung eines Gutachters geringer, als die eines Kinderarztes? Schwer zu sagen.
Hilfreich ist immerhin ein Urteil des BGH in Bezug auf das Einkommen. Demnach kommt eine konkrete Verweisung schon dann nicht in Frage, wenn das Einkommen in der neuen Tätigkeit unter 80 Prozent des Einkommens der alten Tätigkeit gefallen ist.
Konkrete Verweisung bei der Erstprüfung und der Nachprüfung
Schon bis hierher mag Ihnen das Thema konkrete Verweisung kompliziert vorkommen? Das geht noch weiter: Zum Beispiel kann ein Versicherer Sie eventuell konkret verweisen, wenn Sie bereits bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsrente (also im Leistungsfall) eine andere Tätigkeit ausüben.
Auch wenn Sie bereits eine Berufsunfähigkeitsrente erhalten, darf der Versicherer später noch prüfen, ob Sie nach wie vor berufsunfähig sind. Der Versicherer kann eine sogenannte Nachprüfung durchführen. Schließlich muss ja eine Berufsunfähigkeit nicht ewige Jahre andauern. Falls Sie zum Beispiel eine Umschulung gemacht haben, wird der Versicherer prüfen wollen, ob er Sie im Nachprüfungsverfahren konkret verweisen kann. Wenn Sie gerade in dieser Situation sind, merken Sie sich vielleicht die 80 Prozent Einkommensgrenze.
Konkrete Verweisung bei Beamten
Wenn Sie Beamtin oder Beamter sind und eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer Dienstunfähigkeitsklausel haben, werden Sie bei genauem Lesen feststellen können, dass viele Anbieter bei Beamten auf die konkrete Verweisung ganz verzichten.

Schüler, Studenten und Azubis
Ebenfalls besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass die „bisherige Lebensstellung“ bei jungen Leuten sehr interessant wird. Wie sieht beispielsweise die soziale Wertschätzung und das Einkommen von Azubis und Studenten aus?
Damit das im Fall des Falles kundenfreundlich geregelt ist, gilt: Der Versicherer sollte in diesen Fällen die mit dem Abschluss der Ausbildung oder dem Abschluss des Studiums erreichte Lebensstellung als Maßstab nehmen. Manche Versicherer erklären sich dazu bereit. Entweder ab der Hälfte des Studiums oder der Ausbildung, oder manche sogar von Anfang an.
Einschätzung zur konkreten Verweisung
Einerseits ist die konkrete Verweisung sicherlich kompliziert und auch umstritten, weil es eben immer ganz auf die Umstände des Einzelfalls angeht – und da kann man durchaus einmal unterschiedlicher Meinung sein.
Andererseits brauchen Sie sich eigentlich nur zu merken: Es geht immer nur um neue, freiwillig von Ihnen ausgeübte Tätigkeiten. Bis zu 80 Prozent Ihres Einkommens im alten Beruf dürfen Sie auch im neuen Beruf verdienen. Sie haben hier die Gestaltungsmöglichkeiten. Der Versicherer kann nur reagieren.

Weiterführende Links
- Urteil des OLG Karlsruhe zu konkreter Verweisung
- Abstrakte Verweisung
- Berufsunfähigkeitsversicherung auf Wikipedia
- Berufsunfähigkeitsversicherung Test
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Zuletzt aktualisiert am 03.01.2023 Konkrete Verweisung