Ein nun rechtskräftig gewordenes Urteil des OLG Braunschweig zeigt: Wer beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung absichtlich lügt, muss mit Gegenwehr des Versicherers rechnen. Auch nach 10 Jahren kann der Versicherer die Leistung erfolgreich verweigern.
Gut 8 Jahre ist es her, dass ein BGH Urteil aus dem Jahr 2015 Furore machte. Damals ging es um einen Versicherten, der beim Abschluss seiner BUZ seine Parkinson-Erkrankung absichtlich nicht angegeben, also gelogen hatte. 6 Jahre später wurde er berufsunfähig, beantragte Leistungen aber erst 10 Jahre nach dem Abschluss.
Der Versicherer sprach einige Monate später eine Anfechtung aus und verweigerte die Zahlung. Damals entschied der BGH: Pech für den Versicherer, er hatte die 10-Jahres-Frist nach dem Abschluss, innerhalb der eine Anfechtung möglich ist, versäumt. Der Versicherer musste also zahlen (BGH, Urteil vom 25.11.2015 – IV ZR 277/14).
Ähnlicher Fall, neues Urteil, anderer Ausgang
Nun wurde ein anderes Urteil bekannt, das durch einen Beschluss des BGH vom 23.10.2024 rechtskräftig geworden ist. Es geht hierbei um den Beschluss des OLG Braunschweig vom 11.10.2023 unter dem Aktenzeichen 11 U 316/21.
Leitsatz
Vereitelt der Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung gezielt das Recht der Versicherung auf Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, indem er den bereits zuvor eingetretenen Versicherungsfall erst nach Ablauf der Frist aus § 124 Abs. 3 BGB meldet, kann der Versicherung ein sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ergebendes Leistungsverweigerungsrecht zustehen.
Worum ging es in dem Fall?
Ein Polizeibeamter beim SEK hatte im August 2008 eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit Beginn zum 01.09.2008 abgeschlossen. Die Fragen nach psychischen Erkrankungen und Behandlungen hatte er verneint.
Wie sich herausstellte, war er aber bereits seit 2005 mehrfach wegen psychischer Probleme (ADS, Depressionen) bei Ärzten vorstellig geworden, mehrfach krankgeschrieben worden und nahm auch Medikamente ein. Zuletzt war er wenige Tage vor dem Abschluss der BU diesbezüglich in Behandlung.
Da sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechterte und eine Augenerkrankung hinzukam, wurde er zum 31.10.2017 in den Ruhestand versetzt.
Ein von dem nun ehemaligen Polizeibeamten beauftragter Rechtsanwalt beantragte beim Versicherer Leistungen wegen Berufsunfähigkeit – am 03.09.2018. Also exakt 10 Jahre und 2 Tage nach Versicherungsbeginn.
Bei einem anderen BU-Versicherer hatte der ehemalige Polizeibeamte seinen Leistungsantrag hingegen bereits im Jahr 2017 gestellt.
Der Versicherer verweigerte die Leistung. Der ehemalige Polizeibeamte klagte zunächst vor dem Landgericht Göttingen (12.10. 2021, 5 O 25/20), verlor und ging anschließend vor dem Oberlandesgericht Braunschweig in Berufung.
10 Jahre vorbei, Anfechtung nicht mehr möglich, aber…
Weil die 10-Jahres-Frist abgelaufen war, konnte der Versicherer den Vertrag nicht mehr anfechten. Man wollte aber auch nicht die BU-Rente zahlen.
Vor Gericht führte der Versicherer gleich mehrere Argumente für seine Leistungsverweigerung an:
- Der Polizeibeamte sei für den Einsatz beim SEK bereits vor dem Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung dienstunfähig gewesen;
- Dem Versicherer stehe gemäß § 826 BGB ein Schadensersatzanspruch in Höhe des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu, da dieser seine vorvertragliche Anzeigepflicht in ganz ungewöhnlich schwerem Maße verletzt habe und auch zielgerichtet vorgegangen sei, um den Ablauf der Frist von 10 Jahren für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu umgehen;
- Außerdem berufe sich der Versicherer auf einen Verstoß des Versicherten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn dieser versuche, ein Recht auszuüben, das er durch gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben habe;
- Der Versicherer berufe sich auf den hinter § 162 BGB stehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach eine Partei keinen Vorteil daraus ziehen könne, wenn sie entgegen Treu und Glauben ein bestimmtes Ereignis herbeiführe oder vereitele (hier: Anfechtungsmöglichkeit der Beklagten bei früherer Meldung des Versicherungsfalls).
Das Gericht lehnte die Berufung des ehemaligen Polizisten ab, der Versicherer musste nicht leisten. Aus der Begründung:
„Vor diesem Hintergrund ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in hohem Maße treuwidrig gegenüber der Beklagten gehandelt hat, indem er bewusst den Ablauf der Frist des § 124 Abs. 3 BGB zur Meldung des Versicherungsfalls abgewartet hat, um eine Anfechtung des Versicherungsvertrages durch die Beklagte aufgrund seiner arglistigen Täuschung der Beklagten bei Vertragsschluss zu vereiteln. Hierdurch hat er in besonders schwerem Maße gegen seine Pflicht, auf die Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, verstoßen.“
Berufung erfolglos, Beschwerde vor dem BGH erfolglos
Das OLG Braunschweig lehnte die Berufung also ab und ließ auch keine Revision vor dem BGH zu. Der Kläger zog mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor den BGH. Der BGH wies diese nun mit Beschluss vom 23.10.2024 zurück (IV ZR 229/23). Das Urteil des LG Göttingen ist also rechtskräftig.
Der ehemalige Polizist bekommt seine Berufsunfähigkeitsrente nicht und muss die Kosten des Verfahrens tragen (oder seine Rechtsschutzversicherung).
Gutes Urteil für alle Ehrlichen
Leistungen, die ein unehrlicher Versicherungskunde von seinem Versicherer erhält, zahlen die anderen ehrlichen dort versicherten Kunden mit ihren Beiträgen. Manche Mitmenschen scheinen das nicht zu verstehen – oder es ist ihnen egal.
Wir machen einen ehrlichen Job, erwarten Ehrlichkeit von den Versicherern und natürlich auch von unseren Kundinnen und Kunden. Dass wir weder beim „Schummeln“, noch beim Betrügen helfen, kommunizieren wir immer wieder, wie z.B. im Artikel Vor der sicheren Berufsunfähigkeit noch schnell versichern?
Vielleicht konnten wir so den Einen oder Anderen in den vergangenen Jahren überzeugen, ehrlich beim BU-Abschluss zu sein. Diejenigen, die stattdessen mit ihrer Unehrlichkeit bei dem einen oder anderen Kollegen auf offene Arme gestoßen sind, sollten nun etwas beunruhigt sein. Zu Recht.
Oder wie sehen Sie das?
Kommentare zu diesem Beitrag
Richtig so, sonst wäre die Frist von 10 Jahren sinnlos und damit auch die Gesundheitsfragen. Es stellt sich die Frage, ob der Polizist dabei vom Versicherungsvermittler „unterstützt“ wurde oder von ganz alleine auf diesen gewagten Plan kam.
Hallo Alain, warum auf den Vermittler schießen? Die BU wurde im Jahr 2008 abgeschlossen, da gab es gerade erst das neue VVG. Ist nicht eher die Frage, warum der Rechtsanwalt da mitgemacht hat? Oder eine eventuelle Rechtsschutzversicherung Deckung erteilt hat?
Hallo Matthias,
sehe ich es richtig, das das Problem hier die verschleppte Mitteilung des Versicherungsfalls war?
Wäre der Versicherungsfall erst nach zehn Jahren eingetreten, wäre der VN damit wohl durch gekommen. Oder wie siehst Du das?
Hallo Tom,
das mit der Verschleppung siehst du richtig.
Der Versicherer hat einige Argumente für seine Leistungsverweigerung vorgetragen. Vielleicht wird ein Versicherer ähnlich argumentieren, wenn sich eine arglistige Täuschung erst bei einem nach 10 Jahren eingetretenen Leistungsfall herausstellt und mit der Argumentation die Leistung verweigern. Weiß man’s? Kein Versicherer wird gern leisten, wenn ein Kunde beim Abschluss dermaßen gelogen hat, wie hier der Polizist. Wir werden dazu wohl auf Urteile warten müssen…