Die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung im Öko-Test: Ein Dilemma ohne Ende.
In der Ausgabe 2/2018 widmet sich das Verbrauchermagazin Öko-Test neben Quark, Gemüsesäften und Kinderkarnevalskostümen auch der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Speziell geht es um solche Policen, die man als Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge über seinen Arbeitgeber abschließen kann.
Berufsunfähigkeitsversicherungs-Test: „Dilemma ohne Ende“
„Dilemma ohne Ende“ – so betitelt Öko-Test den Artikel zum Test der betrieblichen Berufsunfähigkeitsversicherungen. Das scheint mir auch ein gutes Motto für diesen BU-Test an sich zu sein.
Öko-Test habe untersucht, welche großen Lebensversicherer eine betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer deutlich eingeschränkten Risikoprüfung anbieten, erfahren wir. Das kann ein Antrag mit wenig Gesundheitsfragen oder einer sogenannten Dienstobliegenheitserklärung sein, wie er im Rahmen von Kollektivverträgen verwendet werden kann. Fündig geworden ist man unter ganzen 27 berücksichtigten Anbietern bei…:
- Allianz
- Alte Leipziger
- AXA
- Condor
- Continentale
- Die Bayerische
- Gothaer
- HDI
- LV1871
- Nürnberger
- Volkswohl Bund
- Württembergische
Da fragt man sich bereits: Warum hat man eigentlich nur 27 Anbieter berücksichtigt, darunter so „große Lebensversicherer“ wie die VPV? Unsere Liste der Anbieter von Berufsunfähigkeitsversicherungen kommt jedenfalls locker auf die doppelte Anzahl von Anbietern. Inklusive gerade auch der für die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung konzipierten Branchenlösungen wie Metallrente und Klinikrente – die beide im Test von Öko-Test durch Nicht-Berücksichtigung glänzen.
Darüber hinaus hat man immerhin noch festgestellt, dass nicht jeder Beruf bis 67 versichert werden kann und es „erhebliche Prämienunterschiede“ gibt. Als Beleg folgen – ähnlich wie beim Berufsunfähigkeitsversicherung Test von Stiftung Warentest / Finanztest – ein paar Berechnungen für Modellkunden: Jeweils 35 bzw. 45 Jahre alte Maler und Bürokaufleute und wie sich ihr BU-Beitrag durch die Effekte der Entgeltumwandlung verringert. Das war’s dann auch schon mit den Testergebnissen.
Unterschiedliche Versicherungsbedingungen?
Dass es auch bei den BU-Tarifen der betrieblichen Altersversorgung Unterschiede in der Qualität der Versicherungsbedingungen gibt, erwähnt Ökotest nicht einmal. Sollen die Leser annehmen, das seien standardisierte Produkte, die sich lediglich durch den Preis (und vielleicht die Gesundheitsfragen) unterscheiden?
Betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung: Die größten Nachteile
Immerhin führt Öko-Test ein paar der Nachteile einer Berufsunfähigkeitsversicherung auf, die man im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge abschließen kann:
- Durch die Entgeltumwandlung (Beiträge vom Bruttogehalt bezahlen) reduzieren sich die Sozialversicherungs-Beiträge und damit der Anspruch auf Krankengeld, Arbeitslosengeld, Erwerbsminderungsrente und Altersrente;
- Im Leistungsfall – also wenn Sie berufsunfähig werden – muss die gesamte BU-Rente versteuert werden. Was daraus folgt, verrät Öko-Test wiederum nicht: Die BU-Rente aus der betrieblichen Altersvorsorge muss rund 30% höher abgeschlossen werden als bei einem privaten Vertrag. Denn dieser muss nur mit dem geringen Ertragsanteil besteuert werden. Allein dadurch verpufft im Leistungsfall bereits ein großer Teil des vermeintlichen preislichen Vorteils;
- Bei einem Wechsel des Arbeitgebers hängt es vom neuen Arbeitgeber ab, ob der bestehende Vertrag weiter im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge fortgeführt werden kann.
Weitere unerwähnte Nachteile
Unerwähnt lässt Öko-Test, dass im Leistungsfall unter Umständen sämtliche Korrespondenz des Versicherers inklusive Diagnosen, wirtschaftlicher Verhältnisse etc. über den Arbeitgeber bzw. die Personalabteilung läuft: Schließlich ist bei der betrieblichen Altersvorsorge der Arbeitgeber Vertrags- und Korrespondenzpartner des Versicherers, nicht der Arbeitnehmer. Unerwähnt bleibt ebenfalls, dass auch auf die BU-Rente aus der betrieblichen Altersversorgung wie bei deren Altersrente Krankenkassenbeiträge zu zahlen sind.
Vor allem aber fehlt der naheliegendste Nachteil einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die durch eine Entgeltumwandlung finanziert wird: Wenn bereits nach den ersten 6 Wochen einer Arbeitsunfähigkeit die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber endet, steht auf der Gehaltsabrechnung des Arbeitnehmers eine Null. Es gibt bei monatlicher Zahlungsweise der BU also bereits dann schlicht und ergreifend kein Gehalt mehr, von dem noch weiterhin Beiträge für die Berufsunfähigkeitsversicherung „umgewandelt“ werden könnten. Wer also zahlt dann die Beiträge für die BU monate-, vielleicht jahrelang weiter? Muss dann die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung gar in einen privaten Vertrag gewandelt werden – und das, ohne die Vorteile eines privaten Vertrages (bessere Versicherungsbedingungen, z.B. AU-Klausel, Versteuerung mit dem Ertragsanteil, meistens kein Krankenkassenbeitrag auf die BU-Rente) nutzen zu können?
Gesundheitsfragen und „spontane Anzeigepflicht“
Zutreffend im Berufsunfähigkeitsversicherung Test von Ökotest ist die Feststellung, dass für manche Verbraucher die vereinfachte Gesundheitsprüfung im Rahmen von Kollektivverträgen der betrieblichen Altersvorsorge die einzige Chance auf brauchbaren Versicherungsschutz für die Arbeitskraft darstellen kann. Wenn Sie mich fragen: Das ist auch die einzige Ausgangslange, in der man sich als Arbeitnehmer trotz der diversen Nachteile auf eine solche Vertragsgestaltung einlassen kann.
Wichtig und richtig ist auch der Hinweis von Öko-Test auf die neuerdings von einzelnen Versicherern (wie der Basler) ausgesprochene Anfechtung von BU-Verträgen wegen der sogenannten „spontanen Anzeigepflicht“. Dabei wird Versicherten vorgeworfen, sie hätten bei Antragsstellung von sich aus schwere Krankheiten angeben müssen, selbst wenn sich eine Notwendigkeit dazu aus den Antragsfragen des Versicherers gar nicht ergebe. Wie bei den BU-Aktionen für eine „Berufsunfähigkeitsversicherung ohne Gesundheitsfragen“ sind insbesondere Gruppenverträge der betrieblichen Altersvorsorge betroffen. Denn „wenig Fragen“ führen hier wie da schnell zu einem harmlos erscheinenden zu versicherndem „Risiko“. Im Leistungsfall wundert sich dann anscheinend der eine oder andere Versicherer, wem er auf diese Weise Versicherungsschutz versprochen hat.
Wie man daraus – wie Öko-Test – allerdings eine Forderung an die Versicherer ableiten kann, grundsätzlich bei solchen Verträgen auf ihr Recht einer Anfechtung in vollem Umfang zu verzichten, erschließt sich mir nicht: Wer Antragsfragen wissentlich und absichtlich falsch oder unvollständig beantwortet, um sich Versicherungsschutz zu erschleichen, muss mit einer Anfechtung rechnen. Das halte ich durchaus für richtig. Nur sollte sich eben kein Versicherer dabei auf eine „spontane Anzeigepflicht“ berufen können: Versicherer müssen ihre Fragen so formulieren, dass man sie als Kunde vernünftig beantworten kann und damit seiner Anzeigepflicht in vollem Umfang nachgekommen ist. Es liegt an den Versicherern, letzteres rechtsverbindlich zu erklären.
Fazit zum BU-Test von Öko-Test
Ein einzelner Artikel zu den Chancen und Risiken einer betrieblichen Berufsunfähigkeitsversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge wäre bestimmt für die Leser hilfreicher gewesen als dieser Pseudotest. Von Öko-Test war ich bisher in Sachen BUV-Test besseres gewohnt. Dem einzelnen Arbeitnehmer hilft ein Test der Kollektivverträge so oder so kaum: Denn er kann sich den Versicherer gar nicht aussuchen. Es sind entweder die Tarifparteien oder die Arbeitgeber, die den Anbieter bestimmen.
Kommentare zu diesem Beitrag
Kommentar von ÖKO-TEST
Sehr geehrter Herr Helberg,
mit Ihrer leicht zynischen Kommentierung von Testergebnissen haben Sie schon manchen Erfolg erzielt. Sie sind sich treu geblieben.
Dass wir Regional- und Zielgruppenanbieter sowie ganz kleine Versicherer nicht berücksichtigt haben, dürfte den Tenor des Tests nicht gefährden – zudem in „Ihrer“ Liste der BU-Anbieter reine Privatversicherer und sogar Doubletten vorkommen.
Überrascht sind wir jedoch, dass Sie das Ergebnis des Tests scheinbar gar nicht wahrgenommen haben. Unsere Botschaft war, dass der Arbeitskraftschutz insgesamt derzeit ein Dilemma ist und dies unter dem Strich ebenfalls für die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung (bBU) gilt.
Trotzdem ist k e i n Arbeitskraftschutz wesentlich schlechter als eine bBU, bei der der Arbeitgeber, wie Sie richtig feststellen, über die Bedingungen entscheidet. Daher haben wir ganz bewusst auf ihre Analyse verzichtet. Zumal Kollektivverträge fast immer mit einem Vertreter Ihrer Zunft oder einem vollkommen unabhängigen Versicherungsberater nach einer Ausschreibung entstehen. Als weiteres Kontrollorgan ist in der Regel der Betriebsrat eingebunden.
Sehr unverständlich ist, dass Sie von den Versicherern im Rahmen der Risikoprüfung Fragen verlangen, die man „als Kunde vernünftig beantworten kann.“ Damit würde ja der große Vorteil der bBU mit der einfachen Dienstobliegenheitserklärung des Arbeitsgebers wegfallen.
Falsch ist, dass „unter Umständen“, die Korrespondenz im Leistungsfall einschließlich Diagnose über den Arbeitgeber läuft. Das geht ausschließlich über den Arbeitnehmer. Beruhigen können Sie interessierte Kunden hinsichtlich einer längeren Erkrankung. Die Versicherer stunden die Beiträge bis zu sechs Monate. Der Schutz bleibt so bis zur Feststellung des Leistungsfalls erhalten. Natürlich hat Versicherungsberater Frank Golfels bei seinem Vergleich der Rentenzahlung der privaten mit der betrieblichen Berufsunfähigkeitsrente auch die Krankenversicherungsbeiträge für die bBU-Rente berücksichtigt. Tatsächlich lohnt sich die betriebliche BU – mit dem nun obligatorischen Arbeitgeberzuschuss – schon deutlich. So kostet 100-Euro-Nettorente je nach Modellfall bei der bBU monatlich zwischen 2,87 und 13,83 Euro, in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung sind es zwischen 3,57 und 18,06 Euro.
Warum Sie in Ihrem umfassenden Beitrag aber die wichtigste Botschaft weglassen, erschließt sich uns nur schwer. Aus allen im Beitrag wiedergegebenen historischen Untersuchungen der Arbeitskraftsicherung von ÖKO-TEST einschließlich der aktuellen ergibt sich, dass die von privaten Assekuranzen organisierte Berufsunfähigkeitsversicherung versagt hat. Der Schutz der Arbeitskraft muss daher wieder staatlich organisiert werden. Kann es sein, dass diese Kerninformation Ihrer selektiven Wahrnehmung entgangen ist, weil sie Ihr eigenes Geschäftsmodell gefährdet? Trotzdem danken wir Ihnen, dass Sie auf den Test aufmerksam machen. Wir sind sicher, dass viele bei genauer Lektüre den richtigen Schluss ziehen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Schmidt-Kasparek
(Autor ÖKO-TEST)
Liebe Leserinnen und Leser,
die Stellungnahme von Öko-Test erhielten wir zunächst per E-Mail. Ich habe darauf per E-Mail geantwortet und die Veröffentlichung der Stellungnahme hier auf meinem Blog angeboten. Das war meine Antwort:
„Sehr geehrter Herr Schmidt-Kasparek,
sehr geehrter Herr Stellpflug,
vielen Dank für Ihre Rückmeldung zu meinem Blog-Beitrag.
Ich kann gut verstehen, dass es kein angenehmes Gefühl ist, wenn die eigene Arbeit in Form eines Artikels oder Tests kritisch kommentiert wird.
Manchmal halte ich es aber für notwendig, weil anscheinend erst die Kritik zu einer Verbesserung führt. Das dürfte die gleiche Motivation wie die für den Test selber sein, oder?
Ihr Artikel, lieber Herr Schmidt-Kasparek, läuft im Heft unter der Bezeichnung „Test Betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherungen“. Aus diesem Grund habe ich mich in meinem Blogbeitrag auf den Test bezogen und nicht auf Ihre Einlassungen zur Lage der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung an sich. Das wäre aber ein schönes weiteres Thema, das wir gerne gelegentlich – sicherlich kontrovers – diskutieren können.
Warum Sie einerseits von mir geteilte kritische Hinweise übernehmen (z.B. zur GDV-Statistik https://www.helberg.info/blog/2017/09/die-wenig-vertrauenerweckenden-bu-statistiken-des-gdv/ z.B. zur „spontanen Anzeigepflicht“ https://www.helberg.info/blog/2017/10/spontane-anzeigepflicht/ ) und mir andererseits nun eine „selektive Wahrnehmung“ vorhalten, verstehe ich noch nicht so ganz.
Dass ein Redakteur einer Verbraucherzeitschrift nun Anstoß an meiner Erwartungshaltung nimmt, Versicherer müssten ihre Fragen so formulieren, dass man sie als Kunde vernünftig beantworten kann, verwirrt mich. Ist das nicht das Simpelste, was man aus Verbrauchersicht erwarten könnte? Und wie die von mir aufgeworfene Diskussion um die „spontane Anzeigepflicht“ zeigt: Gerade „wenig Fragen“ oder eine Dienstobliegenheitserklärung enthalten das (strittige) Risiko unvollständiger Angaben (siehe Urteil LG Heidelberg, oder unseren Fall mit der Basler). In der kommenden Woche will sich übrigens ein erster Versicherer rechtsverbindlich dazu öffentlich äußern, habe ich gehört.
Ich selbst würde mir nicht zutrauen zu behaupten, dass alle Versicherer im BU-Leistungsfall die Korrespondenz stets ausschließlich mit dem Arbeitnehmer führen. Darf ich nachfragen, woher Sie diese 100%ige Sicherheit nehmen, Herr Schmidt-Kasparek?
Ein Arbeitnehmer, der nach 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit kein Gehalt mehr bekommt, ist noch längst nicht berufsunfähig – und wird es vielleicht auch gar nicht. Warum sollte er bei seinem BU-Versicherer um Beitragsstundung bitten? Kann der Arbeitnehmer als versicherte Person das überhaupt und welche Rechte stehen einer versicherten Person (die nicht auch Versicherungsnehmer ist) aus einem Versicherungsvertrag überhaupt zu? Welche haftungs- / arbeitsrechtlichen Herausforderungen stellen sich für den Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern eine BU via Entgeltumwandlung ermöglicht? Ich meine, das sind wichtige Fragen, die angesprochen werden sollten und mindestens so wichtig sind, wie das Rechenbeispiel von Herrn Golfes.
Lieber Herr Schmidt-Kasparek,
lieber Herr Stellpflug,
es ist die offene kontroverse & konstruktive Diskussion, die meiner Branche oftmals fehlt. Vermutlich werden sich noch Versicherer auf meinen Blogbeitrag hin melden, die meine Aussagen bestreiten, schließlich sind sie ja nicht so richtig geschäftsfördernd…
Gern biete ich auch Ihnen an, eine Stellungnahme zu meinem Blogbeitrag (vielleicht unterhalb des Beitrages, als Kommentar, oder auch als separaten Beitrag) zu veröffentlichen. Melden Sie sich gern zurück, wenn das für Sie in Frage kommt.“